Nachverdichtung - ein Gespräch mit Klaus Neumann und Tilman Latz
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Die Landeshauptstadt München rechnet mit einem Zuzug von rund 300.000 Neubürgern innerhalb der kommenden 20 Jahre. Doch wo und wie soll dieses Wachstum stattfinden?
Wenn man nach der neuesten Untersuchung des Planungsverbandes Äußerer Wirtschaftsraum München geht, scheint Nachverdichtung keine Option, sondern längst eine Unvermeidlichkeit zu sein. „Dem Großraum geht der Baugrund aus“ titelte die Süddeutsche Zeitung bereits im September. Und der Bayerische Rundfunk widmet dem Thema Zukunft unserer Städte heute einen eigenen Thementag.
Wir haben Klaus Neumann von realgrün landschaftsarchitekten und Tilman Latz von Latz & Partner um Ihre Einschätzung gebeten, ob und wie Nachverdichtung in einer Metropolregion wie München eigentlich funktionieren kann.
Herr Latz, Herr Neumann, kann man verkürzt sagen: die Realität schafft die Fakten?
Klaus Neumann: Ja. Nachverdichtung innerhalb der Stadt München ist unvermeidlich, aber nur eine sehr begrenzte Option, die die Anforderung des steigenden Wohnungsbedarfs nicht allein lösen wird. Sicher kann an einigen Orten noch innerstädtisch verdichtet werden – spannend wäre aber auch beispielsweise das Potential der Messestadt mit dem Landschaftspark zu untersuchen - oder auch endlich mal in den neuen Stadterweiterungen wie Freiham höher zu bauen.
Es wird aber gerne übersehen, dass mit steigenden Bewohnerzahlen auch der Bedarf an frei verfügbarem öffentlichen Außenraum und Freiflächen steigt. Hier wird meiner Einschätzung nach derzeit mit der Aufgabe der Bedarfszahlen-Richtwerte aus den 80iger Jahren kontraproduktiv gearbeitet. Das Wort Freifläche beinhaltet nun mal den Begriff der Fläche.
Über die oft nur rein quantitative Umsetzung der Freiflächengestaltungssatzung im engeren Wohnumfeld – Stichwort Anzahl von Spielgeräten – muss sicher diskutiert werden.
Der von manchen Kollegen und Stadtplanern vertretene kompensatorische Ansatz der „Qualifizierung“ von bestehenden Freiräumen ist eine getarnte Kapitulation. Auch die viel beschworene Aktivierung von Dächern kann nur zu einem sehr geringem Teil zur Lösung der Flächennachfrage beitragen.
Wir müssen, um im bezahlbaren Wohnungsangebot wirklich einen Durchbruch zu erzielen, die Idee von neuen Stadt-Satelliten im Umfeld, in der „freien Landschaft“ ernsthaft untersuchen und interdisziplinär planerisch entwickeln. Mit der Kenntnis der analysierten Schwächen von Trabantenstädten können sozial und ökologisch tragfähige neue Konzepte entwickelt werden.
Tilman Latz: Nachverdichtung passiert auf der ganzen Welt, hat global durchaus ähnliche Ursachen, entwickelt sich aber teilweise sehr unterschiedlich. Vor allem aber verändert Nachverdichtung unsere modernistischen Denkweisen, funktionalistischen Einteilungen und gesellschaftlichen Verhaltensweisen. Die Agglomerationen wachsen in alle Richtungen, auf allen Ebenen und mit guten und schlechten Konsequenzen auf deren Attraktivität, Entwicklungs- und Wettbewerbsfähigkeit.
Die Stadt München ist dabei ein gutes und gleichzeitig schwieriges, wenn nicht sogar schlechtes Beispiel. Denn einerseits kann man schon annehmen, dass München die Finanzen hätte, eine Nachverdichtung auf eigener Fläche konsequent, qualitativ hochwertig und vor allem nachhaltig voranzutreiben. Andererseits verhindert eine sehr traditionelle Vorstellung von Stadt und die Vorstellung, dass alles so bleiben soll, wie es ist, dass genau das passiert.
Denn Nachverdichtung und damit eine höhere Bevölkerungsdichte verlangen eben nicht nur mehr Wohnungen, sondern auch ein leistungsfähigeres Infrastrukturnetz auf allen Ebenen – Ver- und Entsorgung, öffentliche Services, Energie, öffentliche Freiräume(!) und vor allem eine polyzentrische Entwicklung mit resilienten Mobilitätssystemen!
Gerade mit letzteren sind die Konfliktlinien auch schon im Wesentlichen beschrieben. Wir merken das ganz konkret zum Beispiel daran, dass immer mehr Autos in die Stadt wollen, aber einfach nicht mehr hineinpassen, die öffentlichen Verkehrsmittel in Spitzenzeiten völlig überlastet sind, dass die Mieten und Kaufpreise für Wohnungen in für die meisten schwindelerregende Höhe steigen oder dass die wenigen Parks im Zentrum Münchens mittlerweile massiv übernutzt sind.
Die klassischen planerischen Systeme und Denkweisen kommen hier längst an ihre Grenzen. So können uns beispielsweise die tradierten Berechnungssysteme für Baudichten und Flächengrößen nur noch eingeschränkt helfen, den sie stammen aus Zeiten, wo man Aktivitäten und Bedürfnisse nach funktionalistischen Vorstellungen von Stadt ausrichtete, d.h. jede Funktion (Autos, Infrastruktur, Wohnen, Arbeiten, Freizeit, …) bekam seinen separat designten Raum. Die Folgen kennen wir, denn die Überlagerung von Funktionen in gemeinsam genutzten Räumen, wurde wenig mitgedacht – der Flächenverbrauch nahm zu, die Technisierung ebenfalls und die Benutzbarkeit ab.. Ernüchternd ist es da schon, wenn die meisten Menschen bis heute bevorzugt in Stadtteilen der Gründerzeit leben, statt in die „bedarfsgerecht“ geplanten jüngeren Gebieten.
Die nun stattfindende Nachverdichtung bietet denn auch die Chance, unser Zusammenleben neu zu denken, unsere Bedürfnisse mit den aktuellen Möglichkeiten abzugleichen und uns vielleicht die Stadträume zurückzuerobern, die insbesondere durch den Straßenverkehr (das „Blech“) und unbenutzbare Restflächen (auch mal „begrünt“) blockiert sind.
Gibt es gelungene Beispiele für Nachverdichtung außerhalb Münchens?
Tilman Latz: Überall im Land entstehen schöne, neue Stadtquartiere und schicke Architekturen, aber fast alle warten mit der klassischen horizontalen Nutzungstrennung auf, bei der am Ende die Dichte oft fehlt. Und damit einher geht ein erhöhter Flächenverbrauch, denn ich benötige dann mehr Mobilität, um die Ferne des Arbeitsplatzes auszugleichen oder den Ort der Freizeit erreichen zu können. Dabei werden nicht durch Gebäude, sondern durch Straßenbau und Logistik die meisten Flächen verbraucht. Und hier findet in Deutschland kaum ein Umdenken statt. Auch die E-Mobilität, die sich sicher in naher Zukunft durchsetzen wird, kann am Flächenverbrauch wenig ändern. In London hat man dahingegen, um die bestehenden öffentlichen Infrastrukturen auch außerhalb des Zentrums besser auszulasten, die Nachverdichtung insbesondere an Verkehrsknoten (z.B. U-Bahnhöfe) massiv vorangetrieben – ein sehr effektives Vorgehen, dass auch dem Siedlungsdruck eine hocheffiziente Maßnahme entgegenstellen konnte.
In Deutschland vermisse ich in Neubaugebieten vertikale Nutzungsmischungen und leider i.d.R. auch dichte Urbanität, die den problematischen Flächenverbrauch wirklich nennenswert reduzieren könnte. Denn dem stehen Klischees von Stadt hartnäckig entgegen. Bei uns heißt das i.d.R. am Ende: keine Hochhäuser, „Natur“ geht vor Mensch, fast alles Alte wird zum Denkmal und eben: alles soll sich ändern, aber alles soll so bleiben wie es ist …. Unsere eigene Zunft gibt da leider auch oft kein gutes Bild ab.
Klaus Neumann: Gute Beispiele findet man in Wien, Zürich oder Paris. In Wien, das ja auch in der Innenstadt fast überall zwei Geschosse höher ist als München, zeigt die Seestadt Aspern, wie auf der grünen Wiese mit U-Bahn-Anschluss ein dichtes neues Wohnquartier entstehen kann. Hier wird auch bewusst die Erdgeschossnutzung mit Läden und Gastronomie gesteuert, Einkaufszentren nicht zugelassen.
Im Grossraum Zürich ist derzeit u.a. in Bülach, einem Ort in der Agglomeration, das Projekt glasi in der Planung. Interessant dabei, dass es vom Verband der Wohnungs-Genossenschaften entwickelt wird. In Paris sind die neuen Wohnquartiere im Umfeld der ehemaligen Renault-Werke sehr spannend, anspruchsvolle Architektur, deutlich dichter und höher gebaut als bei uns, 5-9 Geschosse, Balkone, grüne Innenhöfe, grüne Straßen, Kreuzungen mit Läden und Gastronomie und - ganz wichtig - ein attraktiver, großer Quartierspark.
Gibt es aus ihrer Sicht Tabuflächen für Nachverdichtung?
Klaus Neumann: Tabuflächen ergeben sich aus den bekannten Richtwerten für Flächenbedarf, Ausstattung und Erreichbarkeit. Wenn die Verdichtung auf Freiflächen zugreifen will, die zur Versorgung der Stadtbewohner mit Erholungsfunktionen notwendig sind, ist das, auch in der Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen, ein Tabu.
München hat, der Isar und dem Englischen Garten gedankt, ein sehr grünes Stadtimage. Im statistischen Vergleich deutscher Großstädte liegt München aber - was die absoluten Grünflächen anbelangt - weit hinter Berlin oder Stuttgart.
Tilman Latz: Ist das so schlimm? Natürlich sind die großen, gut funktionieren Parks und Plätze tabu. Für mich gilt aber das gleiche denn auch für die großen städtebaulichen Ordnungsachsen einer Stadt. Dazu gehören auch viele bestehende Straßenräume, Sichtachsen und eben Vorhalteräume für zukünftige grüne und graue Infrastrukturen.
Wichtig erscheint es mir, dass die Stadt wieder Raum für wirklich große Parks vorsieht und die dafür notwendigen Flächen konsequent strategisch vorhält und entwickelt. Große Stadtparks sind nach meiner Erfahrung am Ende wichtiger und wirksamer für eine Stadt und seine Identität, als die meisten Pocketparks. Und daneben könnten dann auch wieder größere Quartiere entstehen, in denen man durchaus mal 7, 8, manchmal auch 10 Blocks laufen muss, bevor der große Grünraum beginnt… Dafür gibt’s dann aber wirklich funktionierende Plätze und zentrale Einkaufs- und Freizeiträume, die vielleicht nicht immer grün sein müssen.
Sind Landschaftsarchitekten also künftig nur noch Restflächenmanager oder –optimierer?
Tilman Latz: Wenn es auch uns Landschaftsarchitekten gelingt, die klassischen Kategorien Grün versus Straße und Natur gegen Künstlich aufzulösen, zugunsten integrativer Systeme – zum Beispiel, wenn Straßenräume von der Dominanz der Kfz-Systeme befreit und wieder Lebens- und Arbeitsräume des Alltags aller werden – dann wäre schon viel für eine Nachverdichtung erreicht.
Landschaftsarchitekten, die integrativ denken und ein vernetztes Denken von Stadt pflegen, teils auch als Stadtplaner arbeiten, wird die Arbeit nicht ausgehen. Das Management und die Optimierung von Freianlagen werden aber dennoch immer wichtiger für die komplexen Städte von morgen, insbesondere im Zug ihrer Nachverdichtung!
Klaus Neumann: Wenn sie sich nicht deutlicher in die städtebauliche Diskussion einmischen und die Freiflächen verteidigen, ja. Strategische Forderungen oder Visionen sind ja seit Grzimek leider Mangelware geworden...
Welche Konflikte existieren? Und: Kann unser Berufsstand hier gegensteuern?
Tilman Latz: Die Konsequenzen und Herausforderungen, die Nachverdichtungen mit sich bringen, sind auf der ganzen Welt zu beobachten. Dabei gibt es schon viele Lösungsansätze und Erfahrungen, die es zu studieren gilt.
Landschaftsarchitekten werden hier vor allem eine Auseinandersetzung mit sich selbst führen, denn auch unser Berufsstand ist klischeebelastet und nicht immer ausreichend ausgebildet. Das ist in der Regel nicht schlimm, denn nicht selten sind auch unsere Auftraggeber in dieser Situation. Doch die vielen Aufgaben in verdichteten urbanen Strukturen verlangen ein entsprechendes Umdenken. Wir müssen - manchmal von Projekt zu Projekt - neu entscheiden, wie wir uns positionieren und mit welchen Methoden und Werkzeugen wir neue Lösungsansätze entwickeln und anwenden wollen. Für mich erscheint es besonders wichtig, die Funktionalisierungen zu vermeiden, die manche im Interesse einseitiger Nutzungsvorstellungen fordern. In einer verdichteten Stadt ist der Druck auf die Freiräume zu groß. Und so stehen vielmehr Multifunktionalität und Offenheit, robuste Grundstrukturen, flexible Nutzungssysteme und integrative Planung bei einer Nachverdichtung im Vordergrund.
Die Kenntnisse von Landschaftsarchitekten werden gebraucht, wenngleich sie auch immer integrativer mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten müssen. So leiten Landschaftsarchitekten zunehmend große Teams, bei denen Architekten und Stadtplaner, Ingenieure und Lichtplaner, Ökonomen und Marketingexperten mitarbeiten.
Klaus Neumann: Es ist sicher vermessen, die Landschaftsarchitektur als Retter in der marktwirtschaftlichen Stadtentwicklung sehen zu wollen. Dennoch - siehe oben - müssen wir Stellung beziehen und gerade auch für den Teil der Gesellschaft, der nicht über große Ausweichmöglichkeiten verfügen, die wohnungsnahen, innerstädtischen Freiflächen verteidigen und in den neuen Stadtquartieren planerisch sichern.
Hier ist auch die Ausbildung an den Hochschulen gefordert, in übergreifender Zusammenarbeit mit Architekten und Stadtplanern, Lösungen zu suchen.
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Themenverweis: Zahlreiche Initiatoren haben aktuell einen Münchner Aufruf für eine andere Bodenpolitik erarbeitet.
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Vorschau: Im nächsten Teil werden wir uns Anfang 2018 vss. dem Thema Barrierefreiheit im Stadtraum widmen.
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