Von Constanze A. Petrow und Barbara Willecke
Die Profession Landschaftsarchitektur ist diverser geworden. Heutige Anforderungen an Freiräume sind es ebenso. Mit der sozio-kulturellen Vielfalt der Nutzer:innen hat auch die Unterschiedlichkeit der sozialräumlichen Kontexte, in denen Freiräume entwickelt werden, zugenommen.
Diese gesellschaftliche Ausdifferenzierung ist Teil eines umfassenden Transformationsprozesses, den wir gerade erleben. Klimawandel, Biodiversitätskrise und Mobilitätswende fordern uns heraus. Der Landschaftsarchitektur kommt heute die Aufgabe zu, Städte für Hitzeperioden und Starkregenereignisse fit zu machen und sie massiv zu begrünen. Nur so kann die Attraktivität und Lebensqualität von urbanen Räumen erhalten bleiben.
Es geht jedoch um viel mehr als blau-grüne Infrastruktur. Landschaftsarchitekt:innen gestalten öffentliche Freiräume. Damit schaffen sie Orte, an denen die Gesellschaft in ihrer Vielfalt aufeinandertrifft. Gute Gestaltung erzeugt Lebendigkeit. Sie organisiert Räume intelligent und ermöglicht damit ein großes Spektrum an Nutzungen in entspannter und zugleich dichter Atmosphäre.
Landschaftsarchitektur ist politisch, denn sie kann zu gesellschaftlicher Integration, Toleranz und einem friedlichen Miteinander beitragen.
Prof. Dr. Constanze A. Petrow, Barbara Willecke
Paradigmenwechsel notwendig
Aus all dem folgt ein umfassender Paradigmenwechsel innerhalb unserer Profession. Die großen Themen der 1980er Jahre – Ökologie und Soziales – kehren zurück, ohne den Anspruch der 1990er Jahre – die gestalterische Kompetenz – zu verdrängen. In den letzten drei Jahrzehnten setzten viele Landschaftsarchitekt:innen andere Schwerpunkte: Im Zuge einer allgemeinen Ästhetisierung und gesteigerten Aufmerksamkeitsökonomie wurden der Bildwert und die Bildproduktion zu eigenständigen Zielen, die seither mit anderen Planungszielen konkurrieren.
Diese Priorisierung der Ästhetik als das Erbe der Neunziger und Nullerjahre ist immer noch wirkmächtig. Oft klaffen die Entwurfsbegründungen der Planer:innen und das, was für die Nutzer:innen eines Freiraums im Alltag relevant ist, auseinander.
Es braucht mehr gesellschaftliche Wachheit
Neben einer Rückbesinnung auf die Pflanze und deren Verwendung als die ureigene Kompetenz der Landschaftsarchitektur, heute mit dem Ziel der Schaffung sinnlich ansprechender, artenreicher Grünstrukturen, braucht es auch mehr gesellschaftliche Wachheit.Die enormen Herausforderungen der Gegenwart erfordern ein neues Selbstverständnis von Landschaftsarchitekt:innen, einen social turn.
Ohne ein ausgeprägtes Interesse für die Gesellschaft, deren Räume wir gestalten dürfen, ist keine zeitgemäße Landschaftsarchitektur denkbar. Ohne Kommunikation auf Augenhöhe mit allen Beteiligten ebenfalls nicht.
Prof. Dr. Constanze A. Petrow, Barbara Willecke
Zum Handwerkszeug von Freiraumgestalter:innen gehört präzises Wissen über die Bedarfe verschiedener Nutzungsgruppen, differenziert nach Alter, Gender, soziokulturellem Hintergrund sowie Förderbedarf im weitesten Sinne. Auch das Entwerfen muss sich weiterentwickeln. Gerade in den Maßstab zwischen Konzept und Detail ist mehr Energie zu investieren. Denn die genauen Abwägungen über räumliche Dimensionen, Distanzen, Positionierungen und Ausstattungen in einem Freiraum entscheiden über dessen Gebrauchswert.
Sinnvolle Beziehungen zwischen einzelnen Angeboten und sozial sensible Benachbarungen beeinflussen die Nutzung und damit die Atmosphäre eines Freiraums. Nahezu jede Detail- und Materialentscheidung hat Auswirkungen auf die Lesbarkeit eines Raumes, seine Alltagstauglichkeit und seinen Komfort.
Freiraum ist Sozialraum
Freiräume sind mithin nicht nur grüne Infrastruktur, sondern auch soziale Infrastruktur. Freiraum ist Sozialraum. Gerade im Quartierskontext sind kommunikative, vielfältig nutzbare und wandlungsfähige Außenräume gefragt. Orte, die die unterschiedlichen Alltage der Menschen unterstützen und ihnen Frei-Raum im besten Sinne geben.
Zu gewährleisten sind räumliche Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Gender, Diversity und Inklusion, erarbeitet und ausgehandelt in ernst gemeinten Partizipationsprozessen.
Prof. Dr. Constanze A. Petrow, Barbara Willecke
Vielfältige Stadtnaturen und integrative Freiräume für eine diverse Gesellschaft zu schaffen und neben der ökologischen auch die soziale Leistungsfähigkeit von Freiräumen zu stärken, ist die Aufgabe unserer Epoche.
- Lesen Sie auch den Beitrag Gendergerechte Landschaftsarchitektur
Autorinnen: Prof. Dr. Constanze A. Petrow, Landschaftsarchitektin bdla, Fachgebiet Freiraumplanung und Gesellschaft, Institut für Freiraumentwicklung, Hochschule Geisenheim. Barbara Willecke, Landschaftsarchitektin bdla, planung.freiraum barbara willecke, Berlin. Der Text erschien in der bdla-Verbandszeitschrift "Landschaftsarchitekten" 2/2022.
- Latitude: 0
- Longitude: 0