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Warum sich unsere Ästhetik ändern und wir die neuen Bilder feiern müssen

Von Prof. Dr. Antje Backhaus

Und wir als Gesellschaft müssen darin eine neue Ästhetik finden. Nicht die Klimaanpassungsmaßnahmen müssen zurückhaltend in bestehende ästhetische Normen gepresst werden, sondern unsere Ästhetik muss sich endlich weiterentwickeln! Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: wild, grün und chaotisch müssen die Inbegriffe von „schockierend cool“ sein!

In dieser Ausgabe unserer Verbandszeitschrift wollen wir uns der Frage nähern, wo wir stehen auf dem Weg der Transformation. In dieser Zeit des Wandels muss sich auch unser gestalterisches Handeln ändern. Wir wollen fragen: Was hat Einfluss darauf, wie wir entwerfen und welche (urbanen) Landschaftsbilder streben wir eigentlich an?

Eines scheint klar: Die Zeit der monochromen Landschaften ist vorbei. Schluss mit uniformen Alleen, gestutzten Rasenflächen, porenlosen Stadtplätzen und in Beton gegossenen Wasserspielen. Diese Ästhetik führt zu überhitzten Straßen, massiven Abflussproblemen und artenarmen Landschaften.

Wir müssen zu einer widerstandsfähigen, resilienten Gestaltung übergehen, die die (Bio-) Vielfalt in den Mittelpunkt stellt.

Blick in den Rückspiegel für mutige Lösungen für morgen

Ja, die 1980iger Jahre haben ähnliche Gedanken in die Gestaltung aufgenommen. Vielleicht können wir aus dem Blick in den Rückspiegel einiges lernen. Aber es darf uns nicht um ein „Zurück“ oder ein „Weniger“ gehen. Wir brauchen mutige und innovative Lösungen für morgen.

Von Klimaforschern und Meteorologen (z. B. Schwanke, 2022; Paton et al. 2021) ist zu erfahren, dass bis 2030 in Nordeuropa stetig zunehmende Hitzewellen und sogar einzelne heiße Tage mit bis zu 45 °C zu erwarten sind. Ein großer Teil unseres Stadtgrüns und nicht zuletzt viele der bestehenden Straßenbäume werden mit diesen Temperaturen erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Und das ist nur eine von vielen Klimatatsachen, auf die wir uns schon längst hätten vorbereiten müssen.

Unser Wissen über Ökosystem-Resilienz und stadtklimatische Zusammenhänge müssen wir stetig weiter ausbauen. Noch wissen wir zu wenig darüber, welche Gestaltungsvarianten am Ende wirklich die besten, zukunftssichersten Ökosystemdienstleistungen vereinen.

Aber es wird schon jetzt deutlich: Unser bisheriges Ideal einer typischen Reihe gleichartiger Straßenbäume muss durch ein Ideal einer größtmöglichen Vielfalt von Baumarten mit breiter genetischer Herkunft ersetzt werden. Baumscheiben sollten von Sträuchern und Gräsern umgeben sein – als bestmögliche Lebensräume und um die besten Kühlleistungen zu erzielen (vgl. Rahman et al., 2020).

Das wilde Straßengrün kann dabei nicht dauerhaft schön blühend und ordentlich unserem naturromantischen Ideal folgen. Es wird unordentlich und standortgerecht, vielfältig und sukzessions-gesteuert. Das Stadtbild von morgen zeigt bodengebundenes Grün, das Regenwasser ableitet, Schatten wirft, verrottet und eine Vielzahl von Würmern, Käfern, Spinnen und Pilzen beherbergt. Nur eine solche städtische Begrünung ist in der Lage, schnellen klimatischen Veränderungen standzuhalten.

Dynamik in gestalterische Überlegungen integrieren

Wenn eine Art oder Sorte ausfällt, kann eine andere überleben, sich anpassen und reproduzieren. Das Ausmaß der benötigten Grünflächen (vgl. Rahman et al. 2022) bedeutet, dass wir nicht in der Lage sein werden, sie alle intensiv zu pflegen – und das müssen wir vielleicht auch nicht. Vielfältiges und ungezähmtes Grün ist am besten in der Lage, Dürreperioden zu überstehen und uns gleichzeitig vor Bodenerosion und Überschwemmungen bei extremen Regen-ereignissen zu schützen. Wir Landschaftsarchitekt:innen müssen für derartige Ideale noch viel mehr den Prozess und die Dynamik mit in unsere gestalterischen Überlegungen integrieren. Von Designer:innen statischer Bilder werden wir zu Care-takern der sich stetig entwickelnden Landschaften.

Wir brauchen so viel lebendigen Boden, wie wir bekommen können. Deshalb sollten undurchlässige Flächen der Vergangenheit angehören. Wir sollten jeden Quadratzentimeter entsiegeln und in erster Linie auf bereits veränderten Flächen bauen. Die Sperrung von Innenstädten für den Autoverkehr und die Entsiegelung ganzer Straßenzüge muss denk- und machbar werden.

Wir sollten die (Bau)-Ressourcen nutzen, die wir bereits haben, indem wir bestehende Strukturen zurückbauen und wiederverwenden.

Keine Verschiffung von immer neuen Materialien von weit entfernten Küsten und über tausende Autobahnkilometer. Wir müssen mit dem leben, was wir bereits haben und den Lebenszyklus und die Klimaemissionen unserer Projekte adäquat mitdenken. Wie sich die Ästhetik unter derartigen Voraussetzungen ändern kann, zeigt das Projekt des sog. Circular Design in der Wiener Grellgasse (s. S. 6 bis 9). Alte Materialien im anderen Kontext neu zu entdecken, kann uns helfen, spannende Bilder zu erzeugen und gleichzeitig nachhaltiger zu bauen.

Dies verändert unweigerlich das Gesicht unserer Städte und schafft neue urbane Atmosphären.

Aufbrechen in eine grüne, unordentliche, wilde Design-Ära

Damit ein solch drastischer Wandel schnell vonstattengehen kann, müssen wir die neuen Bilder, die dabei entstehen, feiern.

Wir sollten fröhlich in eine neue Design-Ära aufbrechen, in der „grün“, „unordentlich“, „wild“ und „vielfältig“ die Äquivalente von „cool“ und „trendy“ sind.

Wild, grün und chaotisch müssen die Inbegriffe von »schockierend cool« sein!

Prof. Dr. Antje Backhaus

Solange die Anpassung an den Klimawandel und die Biodiversitätskrise eine Notwendigkeit bleibt, die wir ertragen müssen, werden wir es nicht schaffen, ihren Herausforderungen zu begegnen. Stattdessen sollten wir Freude daran finden, eine neue Ästhetik für eine neue Zeit zu entwickeln. „So etwas cooles will ich auch haben – wo kann ich es bekommen?“ muss für den wilden, ungezähmten Vorgarten unseres Nachbarn gelten und nicht für sein neues, glänzendes Handy.

Es ist nicht zuletzt an uns Landschaftsarchitekt:innen, die Gesellschaft dabei an die Hand zu nehmen und die Chancen des Wandels aufzuzeigen. Entwickeln wir also die neuen, ungezähmten Bilder vom Leben im kühlen, chaotischen, wilden, trendigen Grün und versuchen wir, Begeisterung dafür auszulösen! – Der Schlüssel zur Veränderung ist eine Veränderung unserer Schönheitsideale! 

 

Referenzen:

  • Paton, E., Vogel, J., Kluge, B., Nehls, T.,2021. Ausmaß, Trends und Extrema von Dürren in der Stadt. Hydrologie & Wasserbewirtschaftung, 65 (1), 5-16.
  • Rahman M.A., Franceschi, E., Pattnaik, N., Moser-Reischl, A., Hartmann, C., Paeth H., Pretzsch, H., Rötzer, T., Pauleit, S., 2022. Spatial and temporal changes of outdoor thermal stress: influence of urban land cover types. Scientific Reports 12: 671.
  • Rahman, M.A., Stratopoulos, L.M.F., Moser-Reischl, A., Zölch, T., Häberle, K., Rötzer, T., Pretzsch, H. und Pauleit, S. 2020: Traits of trees for cooling urban heat islands: A meta-analysis. Building and Environment 170.
  • Schwanke, K., 2022: Klimawandel und die Folgen - von Hitze bis Starkregen. REHAU Forum Regenwassermanagement, 12. Mai, 2022 (https://youtu.be/5QZJYgJTAEA)


Autorin: Prof. Dr. Antje Backhaus, Landschaftsarchitektin bdla, gruppe F Freiraum für alle GmbH, Berlin, Grüne Technologien in der Landschaftsarchitektur, Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz Universität Hannover. Der Text erschien in der bdla-Verbandszeitschrift "Landschaftsarchitekt:innen" 1/2024.

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