Positionsbestimmungen und Prioritäten der nächsten Generation
Von Christian Werthmann
Es scheint so, dass alles, was derzeit oder schon seit Langem in der Stadt schiefläuft, irgendwie jetzt ganz schnell gerichtet werden soll. Oder anders ausgedrückt: Wir wollen endlich eine andere Stadt und zwar sofort. Sie soll nachhaltiger, sozialer, klimagerechter, ressourcenschonender, wildtierfreundlicher, lebenswerter und so ganz nebenbei auch »schöner« sein.
Die Querschnittsdisziplin Landschaftsarchitektur versteht sich als befähigt, diese vielen, manchmal widersprüchlichen Ansprüche in den Freiräumen der Stadt unter einen Hut zu bringen. Statt harter, monofunktionaler, grauer Infrastrukturen verspricht unsere Disziplin seit geraumer Zeit weiche, multifunktionale, grüne-blaue Infrastrukturen. Inzwischen gibt es viele geplante und gebaute Projekte, die sich zum Ziel gesetzt haben, möglichst vielen dieser Ansprüche gerecht zu werden.
Wie sieht jedoch eine gesamte Stadt aus, in der diese Wunschvorstellungen kompromisslos Schritt für Schritt umgesetzt werden? Die urbanen Reaktionen auf die drei großen Herausforderungen – Klimakrise, Biodiversitätsverlust und soziale Ungleichheit – müssten doch zwangsläufig eine neue Erscheinung der Stadt hervorbringen?
Wie sieht das aus, wenn Verkehrs-, Energie- und Bauwende mit Biodiversitäts- und Inklusivitätsbestrebungen aufeinandertreffen?
Wer gewinnt, wer verliert, wer hat Vorrang? Als Planungs– und Gestaltungsprofession ist es unsere Pflicht, dieses Aufeinandertreffen durch klare Planungsprinzipien und nachvollziehbare Prioritätensetzungen produktiv zu machen. Aber reichen dafür unsere bisherigen Instrumente?
Erfordern die Vielzahl und Dimension der Krisen nicht eine komplette Erneuerung von Stadt- und Landschaftsplanung?
Doch Moment – so etwas gab es doch schon einmal. Konfrontiert mit den eklatanten Missständen der industriellen Stadt des 19. Jahrhunderts formulierten unsere Vorgänger:innen vor hundert Jahren die Prinzipien der Stadt der Moderne, die sich grundlegend von der Stadt des 19. Jahrhunderts unterschied. Die Ideen der »Moderne« ziehen bis heute um den Erdball, erzeugen aber auch immense Nebenwirkungen. In der radikalen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr bleiben grundlegende Sozialbedürfnisse auf der Strecke. Heute ist es ein eigenes Aufgabenfeld, die begangenen Fehler wieder rückgängig zu machen.
Sollten wir nicht unsere Lehren daraus ziehen, dann doch schrittweise vorgehen und uns auf machbare und überprüfbare Einzelmaßnahmen zurückbesinnen? Heißt das im Falle der Landschaftsarchitektur, dass wir weitermachen wie bisher und die Stadt einfach nur grüner wird? Haben wir dann mehr staudenbewachsene Retentionsmulden, mehr Wiesenflächen, versickerungsfähige und kohlenstoffneutrale Wegebeläge, komfortablere Fahrradwege, mehr Bäume, mehr Spielplätze, altersgerechte Sitzgelegenheiten, berankte Fassaden, schicke Elektroladesäulen, energiesparende Straßenbeleuchtung und weniger Parkplätze in der Stadt? Ist das der »Look of Zero«?
Mit diesen Fragen wurde eine Gruppe von acht Studierenden des Masters Landschaftsarchitektur an der Leibniz Universität Hannover konfrontiert.
In einer sehr freien Bearbeitung setzten die Studierenden ihre eigenen Schwerpunkte und demonstrierten an konkreten Orten in Hannover, was den »Look of Zero« für sie ausmacht.
Vier dieser sehr persönlichen Standortfindungen sind nachfolgend gezeigt. Sie geben einen kleinen Einblick, welche Prioritäten die nächste Generation innerhalb der Wenden- und Kriseninflation setzt.
Biomasse als Ästhetik
Eine Perspektive auf die Gestaltung der Klimaanpassung
Von Frederik Ast
In der Reflexion über die Frage nach der zukünftigen Ästhetik der Klimaanpassung drängt sich mir ein grundlegender Gedanke auf – und zwar, ob wir die Antwort theoretisch suchen sollten oder eher praktisch ortsspezifische, gestalterische Lösungen für effiziente Klimaanpassung erproben, um daraus folglich die Ästhetik zu gewinnen? Beim Ausloten der neuen Klimaanpassungsästhetik innerhalb der Fachdisziplin besteht die Herausforderung, nicht in die Falle importierter und globalisierter Architektur zu tappen. Prinzipien und Ökosystemleistungsstandards sowie technische Umsetzungen können zweifellos innerhalb der Disziplin untersucht werden.
Möglicherweise ist die Ästhetik als ein übergeordnetes Leitbild das Resultat abgeleiteter Notwendigkeiten. Im Rahmen des Masterprojektes »Look of Zero« ergab sich eine mögliche Ästhetik durch die Dringlichkeit einer radikalen Begrünung hinsichtlich mehr CO2-Reduzierung sowie Sauerstoff- und Lebensmittelproduktion. Der Entwurf „Biomasse als Ästhetik“ zeigt den Wandel der hochfrequentierten Vahrenwalder Kreuzung in Hannover zu einer städtischen, kulturlandschaftlichen Fläche für jede Art von Biomasse mit maximierter Ökosystemleistung. Das lokale Umfeld wird urbaner Versorgungs- und Produktionsraum.
Von Grau zu Grün
Mobilität neu denken – Aufbruch, Sukzession und Neupflanzung
Von Alexander Effertz
Angenommen, wir zonieren unsere Städte um. Park & Ride-Konzepte, öffentlicher Personennahverkehr oder die Merkmale einer 15-Minuten-Stadt werden ausgebaut. Zum Stadtinneren hin wird das Auto immer mehr obsolet. Bei gleichbleibender Gewährleistung von Mobilität wird plötzlich Raum frei, indem nun nicht mehr notwendige graue Infrastrukturen aufgebrochen werden können, Sukzession stattfindet und Flora und Fauna plötzlich ebenso viel Lebensraum haben wie der Mensch. Urbane Hitzeinseln werden immer seltener, Überschwemmungen und Starkregen können gepuffert werden und durch die neuen Lebensräume nimmt Biodiversität zu.
Und mit der Zeit brechen wir immer mehr Asphalt auf und immer mehr Pflanzen wachsen daraus, auch neue Bäume werden mit der Zeit angepflanzt. Das Grau wird immer weniger und das Grün immer mehr, das Verhältnis zwischen Grau und Grün gleicht sich immer weiter an. An den Menschen wäre nach wie vor gedacht. Aber an alles andere eben auch.
Raumrevolution
Der Bruch der anthropozentrischen Hierarchien im Raum
Von Santiago Guerrero Koch
Unsere Vorstellung von bewohnbarem Raum wurde bisher vom menschlichen Tunnelblick beherrscht. Unser anthropozentrisches Vorrangdenken weist jedem Raum, den Menschen bewohnen und »kolonisieren«, eine bestimmte Funktion zu. Dadurch wird der Raum rationalisiert und erhält eine spezifische Bestimmung. Dieser grundlegende Funktionalismus resultierte in der Unterwerfung von Subjekten, sowohl nicht-menschlichen als auch menschlichen, und förderte die Vorstellung, dass das Land wie ein leeres Blatt betrachtet werden kann. Auf diesem Blatt ziehen wir Linien, grenzen natürliche Systeme ein und nutzen alle Subjekte aus, die in diesem Raum existieren und miteinander koexistieren.
Gleichzeitig neigen wir als Landschaftsarchitekt:innen dazu, diese Vorstellungen vom Lebensraum zu reproduzieren und nutzen diese einseitige Erzählung, um die Ausrichtung unserer Arbeit zu bestimmen. Jetzt ist es an der Zeit, unsere Selbstwahrnehmung im Raum neu zu definieren und nicht-menschliche Subjekte nicht nur als ästhetische oder funktionale »Elemente« eines bestimmten Raums zu betrachten, sondern als integrale Bestandteile vernetzter Systeme, in die auch wir Menschen eingebunden sind.
Mensch im Mikroklima
Gesundheit durch radikale Transformation
Von Carlotta Reuter
Der Überlebensfunktion aller Menschen und Nicht-Menschen gebe ich höchste Priorität, denn: Die Aufrechterhaltung, Prävention und Wiederherstellung von Gesundheit ist unser aller kostbarstes Gut. Die Sicherung dieser geht dabei eng mit dem rationalen Umgang der Ressource Boden einher. Während gegenwärtig monofunktionale versiegelte Straßen überproportional Flächen für sich beanspruchen, ist es wichtig, zukünftig eine systematische Entsieglung dieser voranzutreiben. Radikale und entsiegelte Entwurfsansätze können in diesem Sinne als grundlegendes Medium dienen, um ein Mikroklima zu schaffen, welches das gesundheitliche Wohlbefinden gewährleistet und sich gleichzeitig als neuer Lebensraum für Vegetationsgemeinschaften und nicht-menschliche Lebewesen und Organismen öffnet.
Zusätzlich birgt ein Transformationsprozess dieser Art die wertvolle Chance, eine Entwurfsästhetik entstehen zu lassen, die sowohl ein intuitives, als auch ein verständnisvolles Raumempfinden anspricht. Neben dem rationalen Begegnen von thermisch-klimatischen Herausforderungen und dem einhergehenden Schutz unserer Gesundheit braucht es also auch Antworten, die positive Emotionen erzeugen und dabei die Einzigartigkeit jedes Freiraums in den Vordergrund stellen.
Autor:innen
Prof. Dipl.-Ing. Christian Werthmann, Geschäftsführende Leitung, Institut für Landschaftsarchitektur, Fakultät für Architektur und Landschaft, Leibniz Universität Hannover.
Frederik Ast, Alexander Effertz, Santiago Guerrero Koch, Carlotta Reuter, Studierende Masterstudiengang Landschaftsarchitektur, Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz Universität Hannover.
Der Text erschien in der bdla-Verbandszeitschrift "Landschaftsarchitekt:innen" 1/2024.
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